Nachdem Tom um 7 Uhr den Zug nach Paris genommen hatte, machte ich mit Gerwald eine kleine Sicherheitseinweisung und gegen 9 Uhr legten wir ab mit der Kanalinsel Guernsey als Ziel. Auf dem Weg mussten wir das Race of Alderney passieren, die Meerenge am Cap de la Hague, die als die stärkste Gezeitenströmung in Europa gilt!
Hier kann der Strom in Extremfällen bis zu 12 Knoten erreichen! Zum Vergleich: Ahora fährt in der Regel 5-6, maximal 7 Knoten schnell. Das heißt, hier ist es absolut essenziell, die Meerenge zur richtigen Zeit zu passieren. In allen Törnführern wird vor der extrem kabbeligen See gewarnt, die sich insbesondere bei Wind gegen Strom aufbauen kann.
Wir hatten zwar Gegenwind vorhergesagt, allerdings maximal mit Stärke 4. Zudem war die Tide relativ niedrig, sodass die Strömung nicht ganz so extrem werden würde. 5-6 Knoten waren aber trotzdem zu erwarten.
Nach circa einer Stunde Motoren Richtung Westen konnten wir die Segel setzen. Wir machten so gut 4 Knoten durchs Wasser. Der Wind kam zwar immer noch ziemlich gegenan, aber mittlerweile hatten wir 3 Knoten Strom im Rücken, sodass wir deutlich mehr Höhe laufen konnten, als sonst möglich gewesen wäre.
Die Küste am Cap de la Hague ist eigentlich wunderschön, wäre nicht von allen Seiten die riesige Atomfabrik und Wiederaufbereitungsanlage “La Hague” an der Spitze des Kaps sichtbar. Dort wurde nicht nur atomwaffenfähiges Plutonium produziert, sondern ein Großteil der Abfälle wurde über ein 4 km langes Rohr direkt in den Ärmelkanal geleitet. Ein Trick, um das Verklappungsverbot von Fässern mit Atommüll zu umgehen. 1997 hat Greenpeace auf diese Praxis aufmerksam gemacht. Wir konnten leider keine Infos finden, ob das Rohr immer noch aktiv ist. Das Fischessen in der Region verkniffen wir uns aber vorsichtshalber.
An der Spitze des Kaps erreichte der Strom für uns seinen Höhepunkt. Zeitweise fuhren wir mehr als 11 Knoten über Grund, und das bei einer Geschwindigkeit von nur gut 4 Knoten durchs Wasser. Das Meer war hier schon recht aufgewühlt, aber deutlich weniger schlimm als ich es mir vorgestellt hatte. Naja, umso besser.
Dank des Stroms von hinten konnten wir fast die gesamte Strecke segeln, und das, obwohl der Wind quasi genau gegenan kam. Einen so spitzen Wendewinkel würden ohne Strom nicht einmal moderne Rennyachten hinkriegen.
Kurz vor der Guernsey vorgelagerten Insel Herm verließ uns allerdings der Wind und wir mussten den Motor anwerfen. Wir waren leider minimal zu spät dran, sodass uns zwischen Herm und Guernsey der Gegenstrom mit zeitweise 4 Knoten erwischte. Schade, denn so brauchten wir für die letzten 5 Meilen fast zwei Stunden.
Trotzdem waren wir sehr zufrieden über diesen ersten Segeltag für Gerwald, der sich mit seinen 78 Jahren klasse geschlagen hat. Er hat mir vor 25 Jahren das Jollensegeln beigebracht, nun darf ich ihm eine Einführung ins Küsten- und Hochseesegeln geben.
All is well!
Jan
P.S.: Ein kleiner Tipp für alle, die auf die Kanalinseln fahren: Die Inseln gehören nicht zur EU, und deshalb ist das Roaming schweineteuer, wie wir leider erfahren mussten…