Einhand über die Biskaya

Ich habe es geschafft! Heute Morgen um 0355 fiel der Anker im Ria de Viveiro in Galicien und ich fiel müde in die Koje. Um es kurz zu machen: Der Trip war ziemlich anstrengend und hat mich an meine Grenzen gebracht. Aber ich bin auch stolz, meine erste lange Einhand-Etappe gut überstanden zu haben.

Leider hat sich unterwegs (mal wieder) mein Handy verabschiedet. Es lädt nicht mehr. Darum gibt es nur Fotos von der ersten Hälfte des Trips. Schade eigentlich, denn die Wellenberge waren ziemlich spektakulär…

Doch der Reihe nach: Um 0930 verließ ich mit dem Hochwasser den Hafen von Vannes. Ich war guter Dinge, denn für die nächsten drei Tage waren für die gesamte Biskaya Winde aus nordöstlicher Richtung um die 19 Knoten angesagt. Also nicht zu viel und genau von hinten.

Ein letzter Abschiedsgruß der örtlichen Sinagot

Schon kurz nach dem Verlassen des Hafens setzte ich die Genua und ließ mich (hauptsächlich von der starken Strömung im Golfe du Morbihan) Richtung offenes Meer treiben. Ich fand die Vorstellung faszinierend, vorraussichtlich erst in Spanien wieder die Maschine starten zu müssen.

Von der Strömung getrieben passieren wir den Tumulus von Gavrinis

Auch wenn ich im Golf nur knappe zwei Knoten durchs Wasser machte, sorgte der Ebbstrom mit 6 Knoten dafür, dass ich trotzdem sehr flott voran kam. Am Ausgang des Golfes noch ein letzter Gruß nach Port Navalo, diesmal an Backbord, bevor es aufs offene Meer hinaus ging.

OK, ganz offen noch nicht, denn da waren noch die Presqu’île de Quiberon, die Île Houat und die Belle Île im Weg. Auch wenn der Wind hier (wie angesagt) noch schwächelte, wollte ich unbedingt vermeiden, den Motor anzuschmeißen. Und so dümpelte ich eine Weile mit läppischen 1-2 Knoten über Grund vor mich hin.

Meinen Bug kreuzte einer der Mega-Trimarane mit Heimathafen La Trinité. Der trotz maximal reduzierter Segelfläche (warum auch immer?) deutlich schneller war als ich…

Aber kein Problem, ich genoss die Freiheit, alleine an Bord zu sein. Da hier absolut kein Seegang war, nutzte ich die Gelegenheit, ein leckeres Essen zu kochen und einen frisch gemahlenen Kaffee zuzubereiten. So lässt sich das Leben auf See gut aushalten.

Kochen in der Hoffnung, unterwegs etwas Nahrhaftes zu essen parat zu haben
Noch ist die Biskaya zahm und ich genieße meinen Kaffee und das letzte Kouign Amann

Gegen 5 Uhr frischte der Wind etwas auf und ich passierte den letzten Leuchtturm auf der Belle Île. Ab jetzt lagen 300 Meilen offene See vor mir. Der Sonnenuntergang war, wie so häufig, wunderschön. Und pünktlich zum Einbruch der Dunkelheit tauchte eine Schule Delphine auf, die mich über mehrere Stunden begleiteten.

Man konnte gut hören, wie sie durch die Atemlöcher die Luft ausstießen, und als es vollständig dunkel war, bot sich mir ein umwerfender Anblick: Teilweise angestrahlt durch meine grüne Positionslaterne, teilweise aber auch erhellt durch aufblitzendes, biolumineszierendes Plankton, zogen die Tiere eine Leuchtspur durchs Wasser. Sie waren hinter kleinen Fischen her, die, von meiner Bugwelle und den jagenden Delphinen aufgescheucht, wild umhersprangen.

Auf meinen Fahrten auf dem Schooner Zodiac und der Bark Europa habe ich schon viele zauberhafte Momente auf See erlebt, aber das hier gehörte eindeutig zu den Highlights. Leider scheiterten alle Versuche, Fotos oder ein Video zu machen. Das Licht reichte einfach nicht aus. Naja, ich werde diesen Moment auch so nicht so schnell vergessen.

Um 2100 barg ich das Groß, da wie vorhergesagt der Wind nun merklich aufbriste auf knapp 20 Knoten. Unter Genua machten wir (also Ahora und ich) immer noch gute Fahrt von knapp 6 Knoten.

Da kein anderes Schiff in Sicht war und auch laut AIS in nächster Zeit niemand unseren Kurs kreuzen würde, versuchte ich, ein wenig zu schlafen. Das stellte sich leider als gar nicht so einfach heraus. Erstens war ich viel zu aufgeregt und gar nicht müde. Und zweitens begann das Schiff, nun merklich zu rollen.

Da der Wind auf unserem südwestlichen Kurs Richtung Galicien exakt von hinten kam (was ja an sich gut ist), wurde die Rollebewegung nicht durch die Segel stabilisiert. Und so pendelte das Schiff munter hin und her, laut Krängungsmesser weit über 30 Grad zu jeder Seite. Trotz Verkeilen in der Koje war so an Schlaf leider nicht zu denken.

Um Mitternacht nahm der Wind noch einmal deutlich zu, mit dem Hand-Anemometer habe ich 27 Knoten gemessen, in Böen waren es sicher noch mehr. Und das ist bloß der scheinbare Wind. Also Windstärke 7, und damit deutlich mehr als vorhergesagt. In Boxershorts (und natürlich Rettungsweste mit Sicherheitsgurt) holte ich auf dem schwankenden Vordeck die Genua ein. Danach erst mal 20 Minuten Pause. Auch komplett ohne Segel machte das Schiff noch 4 Knoten Fahrt, und Peter, der Windpilot, hielt auch so anstandslos den Kurs. Trotzdem setzte ich dann die Fock, denn 4 Knoten wären doch zu langsam gewesen.

In Momenten wie diesen bereue ich, keine Rollreffanlage zu haben. Da hätte ich auf einem Vorwindkurs wie diesem bequem vom Cockpit aus mit dem Zug einer Leine die Segelfläche beliebig verkleinern oder vergrößern können. Vielleicht werde ich nächstes Jahr mal diese größere Investition in Komfort und Sicherheit tätigen.

Erschöpft von dem Manöver fiel ich in die Koje. Die Wellen waren mittlerweile gut 2 Meter hoch und ziemlich kabbelig, da es ja eine „frische“ Windsee war. Auch wenn ich immer wieder hochschreckte und den Kopf aus dem Schiebeluk steckte, um nach den Segeln und anderen Schiffen zu schauen, nickte ich doch ab und zu mal ein. Immerhin etwas Schlaf! Aber erholsam ist anders. Alle zwei Stunden klingelte zudem der Alarm auf meinem Handy, der mich daran erinnerte, die Positions ins Logbuch und die Seekarte einzutragen.

Am nächsten Morgen war der Wind wieder etwas schwächer, wehte aber immer noch mit gut 20 Knoten. Eigentlich wäre jetzt Zeit für ein Frühstück gewesen, doch leider sorgte der Schlafmangel und die Erschöpfung für eine sehr unschöne Entwicklung: Ich wurde seekrank!

Nachdem ich mich übergeben hatte, ging es etwas besser, aber besonders wohl fühlte ich mich nicht. Und Essen war leider heute nicht wirklich drin. Mit Glück behielt ich einen Pfirsich und ein wenig Zwieback bei mir. Schade, dabei hatte ich doch so ein leckeres Essen vorgekocht, dass nun im Topf in der Spüle vor sich hinschwappte. Nach der Ankunft musste ich es leider über Bord kippen, da ich nicht sicher sein konnte, ob es noch gut war.

Am Mittag ließ ich das Kontinentalschelf hinter mir. Hier sinkt der Meeresboden abrupt von knapp 150 Meter auf über 4000 Meter Wassertiefe ab. Interessanterweise machte sich das auch bei dem aktuellen, (relativ) geringen und ablandigen Seegang bemerkbar, denn das Meer wurde etwas weniger kabbelig und die Wellen etwas länger (aber auch höher, nun im Schnitt drei Meter, einzelne auch vier).

Viele Wellenkämme brachen immer noch im Wind, was mir zunächst etwas Sorgen machte, sich aber als harmlos heraus stellte. Das Cockpit blieb größtenteils trocken. Trotzdem ließ ich die meiste Zeit das Schiebeluk und die Türen geschlossen. Hier wäre jetzt das Plexiglas-Steckschott, das auf der Todo-Liste steht, schön gewesen. So war es unter Deck nämlich ziemlich schummerig. Wie in einer feuchten, schaukelnden Höhle. Und alles klapperte und schepperte.

Seit dem Kontinetalschelf waren im AIS nur noch selten Schiffe zu sehen, und in Sichtweite kam bis Spanien nur ein einziges. Also eigentlich beste Bedingungen, um ein wenig Schlaf nachzuholen. Das versuchte ich auch, so gut es ging, im Ölzeug auf dem Kajütboden liegend. Nicht gerade bequem, aber so war ich gut eingeklemmt zwischen der Pantry und dem Sockel vom Tisch im Salon und konnte wenigstens nicht hin- und herrollen.

Wirklich zur Ruhe kam ich aber leider nicht, und das regelmäßige Klingeln des Handys zum Position-Eintragen half auch nicht dabei. So vergingen Stunden des apathischen Dösens im Halbschlaf. Auch wenn der Wind zwischendurch schwächer wurde, um dann aber wieder aufzufrischen, machten wir zum Glück immer noch im Schnitt gut 5 Knoten Fahrt, sodass ich darauf verzichten konnte, die Segel zu wechseln. Ich war auch viel zu faul dazu. Seekrankheit ist echt Scheiße!

Zwischendurch versuchte ich ein wenig zu lesen: Wilfried Erdmann – Allein gegen den Wind. Der Typ ist echt verrückt. In meiner derzeitigen Lage konnte ich mir nicht einmal annähernd ausmalen, wie es sein muss, so etwas 11 Monate lang non-stop zu machen. Bei Minusgraden im Südpolarmeer und Wellen, gegen die der aktuelle Zustand der Biskaya ein leichtes Kräuseln war… Und nicht gemütlich, mit dem Wind von hinten. Sondern gegenan. Die ganze Zeit. Nach zwei Kapiteln legte ich das Buch weg. Mir war wieder schlecht.

Zum Glück hatte ich ja meine Musik aus dem Bluetooth-Speaker. Bis jetzt. Denn mittlerweile musste ich feststellen, dass mein Handy nicht mehr lud. Der Stecker war mit einer Salzkruste bedeckt. Scheiße! Wie konnte das jetzt schon wieder passieren? Und das, obwohl ich peinlich genau darauf geachtet hatte, dass das Handy keine Spritzer abbekam, wenn ich draußen ein Foto machte.

Einzige plausible Erklärung: Ich hatte das Gerät zwischen Niedergang und dem Polster meiner Koje geklemmt. Und in der ersten Nacht war tatsächlich eine einzelne Welle so hochgespritzt, dass sie mein Kopfkissen durchnässt hatte. Na toll, auch das noch… Keine Musik und auch keinen Wecker mehr.

Am dritten Tag ging es mir etwas besser, aber Essen hat leider immer noch nicht wirklich geklappt. Naja, drei Tage Fasten kann man schon mal machen. Mittlerweile war abzusehen, dass ich in der Nacht ankommen würde. Schade! Wäre ich doch nicht so faul gewesen und hätte mal ab und zu die Genua gesetzt. Dann hätte ich wenigstens im Hellen ankern können.

In der Abenddämmerung passierten wir das Kontinentalschelf, dass auf spanischer Seite deutlich näher an der Küste liegt. Hier wurde die See wieder kabbeliger. Aber zum Glück auch weiterhin recht harmlos, keine einzige Welle stieg auch nur annähernd ins Cockpit ein (was eine meiner größten Sorgen ist).

Hier gab es laut AIS wieder mehr Schiffe, aber es fiel mir zunehmend schwer, mich regelmäßig aufzuraffen, um Ausguck zu gehen. Schlafen konnte ich aber auch nicht wirklich.

Um Mitternacht ließ der Wind nach und ich entschloss mich, zusätzlich die Maschine zu starten. Dadurch ändern sich die Bewegungen im Schiff, und zack: Wieder ist mir schlecht. Nach einer halben Stunde Ruder gehen war ich außerdem so hundemüde, dass mir die Augen zufielen. Keine gute Idee hier draußen. Es gab mehr und mehr Verkehr, und die Küste war nur noch 10 Meilen entfernt. Ich malte mir aus, wie ich am Ruder einschlief und genau gegen die Klippen motorte. Lieber noch versuchen, eine Runde zu schlafen.

Also Motor aus, nur die Fock stehen lassen, sodass die Fahrt bei moderaten zwei Knoten blieb. Nach anderthalb Stunden mit mehr oder weniger Schlaf (und mehreren Malen Aufschrecken, weil ich mir einbildete, ein Motorengeräusch zu hören) startete ich um 0200 erneut die Maschine. Auch wenn mir weiterhin regelmäßig die Augen zufielen, motorte ich tapfer weiter und warf um 0355 den Anker vor einer kleinen Insel in der Ria Viveiro.

War der Ankergrund gut? Hielt der Anker? Das war mir in dem Moment egal. Eigentlich ziemlich leichtsinnig, aber ich war einfach froh, da zu sein. Und fiel todmüde in die Koje.

Ich hatte es geschafft! Die Biskaya lag hinter mir! 🙂

War es hart? Objektiv gesehen eigentlich gar nicht. Die Bedinungen waren denkbar günstig, die Windrichtung stimmte, und die ganze Zeit war strahlender Sonnenschein. Subjektiv aber durchaus. Seekrankheit und Schlafmangel können einem den schönsten Törn vermiesen. Und natürlich war ich während meiner ersten großen Solo-Etappe ziemlich aufgeregt und angespannt. Nun, da es hinter mir liegt, sieht das Ganze auch schon wieder deutlich weniger dramatisch aus.

Zwischendurch aber habe ich mich ernsthaft gefragt, warum ich mir so etwas antue. Ich könnte auch irgendwo in einem Büro sitzen und ein bequemes Leben führen wie normale Menschen, statt als digitaler Nomade auf einem winzigen Segelboot zu leben, mich tagelang nicht zu duschen und in einer klammen Koje (oder auf dem Fußboden der Kajüte) zu schlafen.

Doch die Erinnerung an Erlebnisse, wie den Besuch der Delphine am ersten Abend, sind dann doch jede Strapaze wert.

Und als ich am nächsten Morgen um 10 Uhr verschlafen den Kopf aus dem Schiebeluk steckte und die Gegend um mich herum sah, verschlug es mir den Atem. Die felsigen Hügel und Inselchen waren dicht mit Nadelbäumen bewachsen; überall sattes Dunkelgrün und wunderbar tiefes Blau. Und der Hochnebel in den Baumwipfeln schuf eine mystische Atmosphäre, die mich stark an meine Segelzeit in Kanada erinnerte. Hinzu kam dieser Duft von feuchter Erde und Harz…

Ich bin in Galicien! Und kann es kaum erwarten, die Gegend zu erkunden. Nur schade, dass ich diese wunderschönen Farben in Ermangelung eines Handys nicht mit euch teilen kann…

Trotzdem: All is well

Jan

Das letzte Bild, das noch mit meinem Google-Account synchronisiert wurde, bevor mein Handy das Zeitliche segnete. Schade, jetzt glaubt mir sicher keiner die Story mit den 4-Meter-Wellen…

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6 comments
Claudio says 23. September 2019

Danke für den ehrlichen, sachlich wertvollen und schönen Bericht. Auch schön dass du gut angekommen bist.

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Peter says 23. September 2019

Peter bestimmt deinen Kurs? Welche Ehre…

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    Jan says 23. September 2019

    Ja, wobei in diesem Fall dein Namensvetter Peter Förthmann der Namensgeber ist. Aber muss natürlich trotzdem an dich denken, wenn ich mich in einsamen Stunden mit „meinem“ Peter unterhalte 😉

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Ela says 30. September 2019

Echt sehr schöner authentischer Bericht. So kann man sich einen guten Einblick ins Leben deines Kapitänslebens machen.
Danke
Bien viaje!

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Dirk Heuer says 24. Oktober 2019

Super schöner Bericht! Viel Glück weiterhin und handbreit….

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    Jan says 24. Oktober 2019

    Vielen Dank! Gruß an den Bodensee! 🙂

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