Für den Trip von Cadaques über den Golfe du Lion hatte sich mein Vater als Crew angekündigt. Das hat mich sehr gefreut, denn einerseits waren wir (aufgrund der Corona-Reisebeschränkungen) das letzte Mal vor zwei Jahren zusammen gesegelt, damals um die Bretagne. Und andererseits bin ich bei längeren Passagen froh, jemanden zu haben, der mich beim Wachegehen unterstützen kann. So können wir uns in Zwei-Stunden-Schichten mit dem Wachegehen ablösen und ich muss nicht alle 20 Minuten einen Wecker stellen, um nach dem Rechten zu sehen.
Nachdem die Woche über recht starker Südwind herrschte, war für das Wochenende eher schwacher Wind aus wechselnden Richtungen angesagt, bevor am Montagabend der Mistral einsetzen sollte. Mistral heißt der Wind, der aus Norden das Rhonetal herunter weht. Er bringt kalte Luft aus Nordeuropa ins Mittelmeer und ist berühmt berüchtigt, weil er sehr plötzlich auftreten kann und und im Golfe du Lion nicht selten Sturmstärke erreicht.
Um sicherzugehen, dass wir eine ruhige Überfahrt haben, hatte ich 5 verschiedene Wettermodelle verglichen. Vier davon sagten in der Nacht zum Sonntag ab ca. Mitternacht absolute Flaute voraus und eines knapp 3 Beaufort aus Norden. Also tendenziell eher zu wenig Wind, aber natürlich trotzdem besser als zu viel. Am Samstag sollte es bis zum Abend noch guten Südwind geben und am Sonntag Vormittag dann 4 Beaufort aus Norden.
Also nichts wie los! Am Samstag Vormittag setzten wir Segel mit Kurs WNW.
Nach einer sehr schwachwindigen ersten Hälfte der Nacht kam gegen Mitternacht eine kleine Brise aus Nord auf. Perfekt, vielleicht hatte ja doch das Modell mit den drei Beaufort aus Norden recht! Nachdem ich das Groß gesetzt hatte und gerade die Genua hissen wollte, legte der Wind jedoch schnell immer mehr zu. Das wurde mir dann doch ein wenig unheimlich und ich barg das Groß wieder, um zunächst einmal zu schauen, wie sich die Sache entwickeln würde.
Um es kurz zu machen: Wir wurden komplett überrascht von einem unangekündigten Mistral. Keines der fünf Wettermodelle hatte irgendetwas derartiges vorhergesagt und doch hatte es innerhalb von nicht einmal zehn Minuten von 0 auf konstant 7 Beaufort aufgefrischt.
Die entsprechende Welle ließ nicht lange auf sich warten und so wurde die Nacht sehr unruhig. Zu allem Überfluss erwischte mich dann auch noch die Seekrankheit. Eine steile 2-3-Meter-Welle von der Seite brachte ahora ganz schön ins Rollen. Zum Glück macht meinem Vater die Schaukelei gar nichts aus, und so war ich doppelt froh, ihn an Bord zu haben. Danke Papa!
Wir waren anscheinend nicht die einzigen, die vom Wetter überrascht wurden. 20 Meilen südwestlich von uns sendete eine Yacht mit einem Ruderschaden PanPan. Zu weit weg, als dass wir hätten helfen können. Zum Glück übernahm dann die französische Küstenwache und organisierte einen Seenotrettungskreuzer zum Abschleppen.
In den Morgenstunden wurde der Wind zum Glück etwas schwächer und wir konnten zusätzlich zum zweifach gerefften Groß sogar die Genua wieder setzen.
Am frühen Nachmittag erreichten wir die französische Küste. Wir entschieden uns allerdings, doch nicht nicht nach Marseille zu segeln, sondern noch ein Stück weiter östlich Port Miou anzulaufen, einen Naturhafen in einer der Calanques bei Cassis. Dort kann man entweder weiter innen an Stegen festmachen oder am Eingang (aber trotzdem 360 Grad geschützt) an Bojen mit Landleine. Wir entschieden uns für letzteres und freuten uns auf eine ruhige Nacht.
Nachts erlebten wir allerdings eine ziemliche Überraschung. Ich wachte durch sehr ungewöhnliche Geräusche und eine seltsame Bewegung im Schiff auf. Erschrocken sprang ich aus meiner Koje und stellte fest, dass eine starke Strömung von mindestens zwei Knoten quer zum Schiff stand, sodass die Landleine zum Bersten gespannt war. Am Boot trieben Holzklötze und größere Äste vorbei in die Calanque hinein. Nach ein paar Sekunden hörte die Strömung urplötzlich auf und setzte dann in entgegengesetzter Richtung ein. Dummerweise war in der Zwischenzeit mein Dinghy auf die schlaffen Landleinen getrieben. Es wurde von der plötzlich auftretenden erneuten Spannung in die Luft gewirbelt und landete verkehrt herum im Wasser, mit dem Außenborder unter Wasser.
Zum Glück konnte ich das Dinghy schnell wieder umdrehen und erstaunlicherweise hat der kleine Tohatsu Zweitakter das kurze Untertauchen ohne Problem überstanden. Aber was zur Hölle war die Ursache für diese Strömung? Deren Richtung wechselte noch zweimal innerhalb der nächsten Minute, diesmal allerdings deutlich weniger stark.
Während mein Vater auf die unterirdischen Süßwasserquellen spekulierte, die in die Calanque münden, tippte ich auf einen Mini-Tsunami. Damit lag ich wohl richtig, denn der Hafenmeister erzählte uns, dass der Wasserstand im hinteren Teil der Calanque abrupt um mehr als einen halben Meter gestiegen war und mehrere Klampen aus Stegen und Booten gerissen hatte. So etwas war wohl noch nie passiert und seine einzige Erklärung war ein unterseeischer Erdrutsch, der einen Mini-Tsunami ausgelöst haben musste. Ziemlich verrückt und ich bin sehr froh, dass das ganze glimpflich ausgegangen ist. Nur minimal mehr Strom von der Breitseite hätte wahrscheinlich ahoras Heckklampen rausgerissen. Und ich bin auch froh, dass der Dinghy-Außenborder keinen bleibenden Schaden genommen hat.
Wir ließen uns die Stimmung zum Glück weder vom Mistral, noch vom Tsunami vermiesen und genossen in den nächsten beiden Tagen die französische Lebensart wie Gott in Frankreich und erkundeten Cassis und die benachbarten Calanques.
Um zur nächsten Bucht zu gelangen, fuhren wir mit dem Dinghy an Land, wo wir auf einen Wanderweg stießen, der über die Landzunge direkt zur nächsten Bucht führte, der Calanque du Port Pin. Die Landschaft dort war einfach traumhaft. Doch wir wunderten uns schon ein wenig, dass wir die einzigen Leute an diesem Traumstrand mitten im August waren.
Umso besser, dachten wir. Zeit für eine Abkühlung im Robinson-Stil. Als uns nach einer halben Stunde am Strand immer noch kein Mensch begegnete, kam uns das Ganze aber doch etwas komisch vor. Eine kurze Recherche im Internet hat dann Klarheit gebracht: Der Nationalpark war wegen Feuergefahr durch den Mistral für Besucher gesperrt!
Das hatten wir natürlich nicht mitbekommen, da wir ja nicht auf dem Landweg in den Park gekommen waren, sondern mit dem Dinghy. Aber Unwissenheit schützt ja bekanntlich nicht vor Strafe und so machten wir uns dann doch lieber auf den Rückweg, bevor wir von einem Parkranger erwischt würden. Schade eigentlich, denn so eine Calanque ganz für sich allein Anfang August gibt es ja auch nicht alle Tage…
Die Calanques haben uns äußerst gut gefallen, aber in Südfrankreich gibt es natürlich noch viel mehr zu entdecken. Und so segelten wir weiter nach La Ciotat. Dort blieben wir zwei Nächte im Hafen und fuhren mit dem Bus nach Marseille, wo ich einen Termin für meine Corona-Impfung hatte. Es hat mich sehr gefreut, dass ich mich in Frankreich auch als Ausländer so unkompliziert impfen lassen konnte. Mit Impfpass ist nun auch das Reisen innerhalb Europas deutlich einfacher.
Nach der Zeit in La Ciotat genossen wir noch für ein paar Tage das Ankerleben und erkundeten die Insel Porquerolles, die der Küste vorgelagert ist und ein paar ausgezeichnete Ankerbuchten bietet. Über diese und die anderen Inseln werde ich noch ausführlich im nächsten Blogpost berichten.
Nach zehn Tagen gemeinsam an Bord hieß es nun Abschied nehmen. Im Hafen von Toulon ging mein Vater von Bord und trat die Heimreise an. Ich finde es wirklich toll, einen Vater zu haben, der auch mit 80 Jahren noch so aktiv ist. Ich freue mich schon auf den nächsten Törn mit dir!
All is well
Jan
Hier noch als kleiner „Bonus“ ein Bericht von meinem Vater Gerwald zu unserem gemeinsamen Törn:
Vom Flughafen Gerona ging es mit dem Bus über Figueras nach Cadaqués. Die letzten Kilometer hastete der Bus in halsbrecherischer Fahrt auf den Serpentinen durch die Berge. In Cadaqués holte mich Jan am Busbahnhof ab. Nach herzlicher Begrüßung schleppte er mich trotz meiner Müdigkeit den Hügel zur Kirche hinauf, von deren Vorplatz man einen herrlichen Ausblick auf die Stadt und den Hafen hat. Schon der Weg dorthin erfüllte mich mit großer Freude, denn ich spürte sofort die außerordentlich intensive mediterrane Atmosphäre dieser Stadt. Einige Jahrzehnte zuvor hatte ich hier die Sommerferien verbracht, aber die Erinnerung daran war verblasst. So empfand ich das intensive Flair und die Schönheit ganz neu.
Ein Anblick wie im Bilderbuch! Die weiß getünchten Häuser, mit Blaubasalt gepflasterte Gassen und die Bucht mit ihren Booten. Keine Marina voller Plastik, fast nur offene Holzboote an Bojen oder vor Anker, die Fischern oder betuchten Residenten gehören. Mittendrin Jans Boot. Dorthin fuhren wir mit dem Dinghy, um mein schmales Gepäck zu deponieren. Dann suchten wir ein Restaurant auf für ein kleines Dinner. Da ich den ganzen Tag über gesessen hatte, brauchte ich etwas Auslauf. Also marschierten wir über einen kleinen Hügel in die nächste Bucht, Port Lligat, zur Residenz von Salvatore Dali. Ihn hatte ich damals noch in seinem Garten spazieren sehen. Danach suchten wir zwei kleine Bars auf, von deren Personal sich Jan noch verabschieden wollte. Der sehr kommunikative Jan hatte in wenigen Tagen eben schon viele Bekanntschaften gemacht.
Am nächsten Morgen: kurzer Schwimm, dann Frühstück im Hafencafé. Da trafen wir ein französisches Ehepaar, das Jan auch schon kannte. Leute mit Haus in Cadaqués und edel restauriertem Fischerboot. Bei unserer Ausfahrt aus der Bucht begleiteten sie uns ein Stück. Den nun folgenden Törn hat Jan ja schon beschrieben. Das seglerische Glücksgefühl stellte sich ein und langsam wurde die Stadt hinter uns kleiner. Erstaunt war ich, wie viele Stunden es dauert, bis kein Land mehr in Sicht ist, jedenfalls bei gebirgiger Landschaft. Ich bin ja Binnensegler und meine eigenen Segelerfahrungen bestehen aus Fahrten auf Jollen und Jollenkreuzern auf Seen und Küstengewässern. Durch die Segeltörns mit Jan, von denen dies schon mein fünfter war, habe ich den Reiz der Seefahrt auf Meeren kennen und schätzen gelernt.
Der Golfe du Lion, den wir von Spanien nach Frankreich überqueren wollten, hat nichts mit der Stadt Lyon zu tun. Es ist die Bucht des Löwen. Kann eben gefährlich werden. Die Nacht war hart, aber wieder eine neue Erfahrung. Während der Freiwache zu schlafen, war fast unmöglich. Man konnte bestenfalls dösen. Mit Wetterjacke und Rettungsweste einschließlich der schweren Einpickhaken auf dem Bauch war das Liegen nur auf dem Rücken möglich und wegen der Rollbewegung des Bootes musste ich mich mit Kissen in der Koje verkeilen. Jan bevorzugte beim Liegen den blanken Boden in der Mitte des Bootes. Ich war vorher erst einmal nachts gesegelt, an der bretonischen Küste, wo wir nur durch Jans sehr gutes Gehör ein Fischerboot auf Fast-Kollisionskurs bemerken konnten. Durch die vielen Lichter im Hintergrund an Land waren die Positionslichter des Kutters nicht zu erkennen. AIS (Automatic Identification System) hatte er nicht eingeschaltet. In dieser Nacht im Golfe du Lion gab es so eine Gefahr kaum. Kein Schiff weit und breit! Kein Land weit und breit! Nur pfeifender Wind, rollende See und „der bestirnte Himmel über mir“ (Immanuel Kant). Besonders eindrucksvoll für mich: Ringsum nur Wasser und querab an Backbord geht die Sonne unter. Lange Nachtfahrt. Dann ringsum immer noch nur Wasser und an Steuerbord Bug taucht die Sonne aus dem Meer.
Die nächste Zeit unseres Segeltörns bis zu meiner Abreise war entspannter Mittelmeerurlaub vom Feinsten. Mit unserem Schiff schlenderten wir von Bucht zu Bucht und von Hafen zu Hafen. Sonne, Schwimmen, kleine Wanderungen, gute französische Küche in Restaurants. Wir haben viel Fisch gegessen. Ich hatte mir vorgenommen, möglichst viele verschiedene Sorten zu probieren und kam auf die Zahl Sieben. Sowohl in blauen Buchten als auch in den Häfen hat das Bordleben Spaß gemacht. Ich habe einige mir bekannte Orte an der Küste wieder gesehen und einige andere neu kennengelernt. Alte und neue Erkenntnis: Man kann da prima Urlaub machen, besonders auf einem Boot, auch in der Hochsaison. Das gilt aber nicht für die Insel Porquerolles vor der Stadt Hyéres, obwohl dieses Eiland ein Sehnsuchtsort vieler Franzosen ist. In dem sehr erfolgreichen Film „Bei den Sch’tis“ will der Protagonist sich als Postbeamter unbedingt dorthin versetzen lassen, was ihm erst am Ende des Films gelingt, nachdem er eine Zeit im Norden nahe der belgischen Grenze strafversetzt verbringen musste. Jan hat später noch die Nachbarinseln besucht, die viel interessanter sind.
Es war wieder ein sehr schöner Segeltörn. Ich bin froh, dass Jan mir das Segeln auf Yachten auf dem Meer nahe gebracht hat. Er ist ein sehr guter umsichtiger Seemann. Hier ein Beispiel für sein Leben und Arbeiten an Bord: Geankert hatte ich vorher noch nie mit Jan. Deshalb war ich gespannt, wie er das macht. Erst sucht er mit Hilfe der Segelsoftware auf dem Tablet und durch eigene Sichtung eine geeignete Stelle aus. Routiniert lässt er dann den Anker mit der langen, schweren Kette fallen. Dann sorgt er durch Rückwärtsfahrt dafür, dass das Grundgeschirr sich eingräbt. Dann, man staune: springt er mit Taucherbrille ins Wasser, um zu prüfen, ob der Anker sich gut eingebuddelt hat. Naja, das geht natürlich nur im Mittelmeer und Co.
In Toulon ging ich von Bord und fuhr mit dem Zug nach Nizza. Ich blieb eine Nacht, schaute mir die Stadt an, die mich sehr beeindruckte, und flog nach Hause.
Wunderbar….. Danke euch beiden für den schönen Post.
Gut geschrieben, flüssig zu lesen und man kann es sich lebhaft vorstellen.
Und – ja, absolut richtig. Mit meiner Neptun23 auf dem Zürichsee bin ich auch nicht nach dem Anker getaucht um zu beurteilen, ob er richtig im Schlick sitzt. Aber im Mittelmeer ist das ja nicht unbedingt eine Strafe, nachzuschauen wo der Anker ist und was der so macht. 😉
Danke für das Lob 🙂 Und ja, es gibt schlimmeres als im Mittelmeer nach dem Anker zu tauchen. Wenn es ganz klar ist sieht man ja sogar von oben ob er gut sitzt. Aber in’s Wasser hüpfen mach ich trotzdem gern.